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Bonnies Stadtnatur-Refugium

Öffnungspläne für das waldähnliche ehemalige Wittenauer Nervenklinik-Gelände bedrohen streng geschützte Arten

© by Christian Hönig

Es gehört zu den letzten Juwelen in Berlin und soll nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ein wildes Gelände mit unbefestigten Wegen und Alleen, die zwischen Bäumen verschwinden. Sie führen zu den geschichtsträchtigen Relikten eines alten Friedhofs. Rund um den mittlerweile verlandeten Kranichpfuhl entwickelt sich ein Dickicht aus jungen Gehölzen unter alten Bäumen. Von der nahen S-Bahn-Strecke ist kaum etwas zu hören, dafür aber viele Singvögel, trommelnde Spechte und hin und wieder der langgezogene Ruf eines Greifvogels. Es geht um den ehemaligen Landschaftspark der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Wittenau. Oder um genau zu sein, um etwas mehr als 20 Hektar waldähnlicher Fläche südlich der historischen Gebäude, die aktuell als Krankenhaus für psychisch- oder suchtkranke Straftäter dienen.

Die geplante Öffnung des derzeit nicht allgemein zugänglichen Areals soll zusammen mit einer Bebauung im westlichen Teil des Klinikgeländes umgesetzt werden. Dort sollen nicht mehr genutzte Gebäude abgerissen und die Flächen wieder bebaut werden. Ob die Bebauung auch noch darüber hinaus in den Norden entlang des Olbendorfer Weges ausgedehnt werden soll, ist noch unklar.

Als “Irrenanstalt der Stadt Berlin zu Dalldorf” 1880 auf dem Gelände eines vom Berliner Magistrat dafür angekauften landwirtschaftlichen Gutes errichtet, war der weitläufige Landschaftspark schon von Beginn an Teil der Klinik. Schnell hatte die Einrichtung mehr Patient*innen als Dalldorf Einwohner*innen. Das geflügelte Wort von den “Irren aus Dalldorf” führte dann auch dazu, dass das Dorf 1905 in Wittenau – nach dem kurz zuvor verstorbenen Amtsvorsteher Peter Witte – umbenannt wurde. Auch das Krankenhaus wechselte im Laufe der Zeit seinen Namen: Aus der Irrenanstalt wurden die Wittenauer Heilstätten, die 1967 wiederum in Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik umbenannt wurden. Danach wurde nicht nur der naheliegende U-Bahnhof benannt, sondern davon leitete sich auch der weit über die Berliner Stadtgrenzen hinaus bekannte Name “Bonnies Ranch” für die in den 1970er Jahren vornehmlich Suchtproblematiken behandelnde Klinik ab.

Baumriese mit Pilzbewuchs

Der Park im Süden wurde zunehmend sich selbst überlassen und spätestens seit 2006 der Klinikbetrieb eingestellt wurde und nur noch der Maßregelvollzug für Inhaftierte verblieb, entschwand das Wäldchen endgültig aus den Augen der Öffentlichkeit. In den alten Bäumen konnten sich ungestört Habitatstrukturen, also Lebensräume für Tiere und Pflanzen entwickeln und über die südlich gelegene Bahntrasse war die Verbindung zu anderen Biotopen wie dem Tegeler Forst oder dem Kienhorstpark gegeben. Der Dornröschenschlaf währte aber nicht lange. Im West-Berliner Baunutzungsplan, einer städtischen Planungsgrundlage, ohnehin schon seit den 1960er Jahren als potenzielles Baugebiet ausgewiesen, war das aufgelassene Krankenhausgelände für die Stadt auch als Bauland interessant. Die in den 1980er Jahren errichteten Bettenhäuser wurden nicht mehr benötigt und auch darüber hinaus war die Stadt auf der Suche nach zügig entwickelbaren Flächen. 2018 wurde ein Ankunftszentrum für Flüchtende errichtet und seit dieser Zeit wird auch im zuständigen Bezirk Reinickendorf über eine Wohnbebauung diskutiert. Das Ausmaß der Bebauung ist jedoch noch nicht klar, wird aber in absehbarer Zeit feststehen.

Bruthöhle

Angesichts des alten Baumbestandes und des offensichtlich hohen Wertes für den Naturschutz wurde im Zuge der Planungen auf dem gesamten Gelände, auch im Auftrag des Berliner Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege, nach geschützten Arten und deren Lebensräumen gesucht. Es wurden nicht nur die üblichen Überprüfungen auf Vögel und Fledermäuse angestellt, sondern insbesondere auch auf xylobionte, also holzbewohnenden Käfer wie den streng geschützten Eremit und den Heldbock (auch Großer Eichenbock genannt). Da das Gelände nicht nur weitläufig, sondern durch die vielen nachwachsenden Bäume auch sehr unzugänglich ist, war es schwierig, mit herkömmlichen Methoden zu stichhaltigen Ergebnissen zu kommen. Daher wurden 2019 spezielle Arterkennungshunde eingesetzt, um die ca. 3.400 Bäume zu untersuchen. Diese Hunde sind darauf trainiert, seltene Tierarten bzw. ihre Lebensstätten in den Stämmen anhand des Geruchs zu erkennen und ihren Hundeführer*innen anzuzeigen. Diese sind auch geschulte Artenkenner*innen und in der Lage, die von den Hunden angezeigten Bäume zu überprüfen, einzuordnen und zu bewerten. Die Ergebnisse waren überraschender, als man es einem solch kleinen Wäldchen in der Stadt zugetraut hätte. In insgesamt 770 Bäumen, das sind ca. 23 % aller untersuchten Bäume, wurden Habitatstrukturen ausgemacht. Insgesamt gab es 184 Anzeigen von verschiedenen Fledermausarten sowie elf Vorkommen von Eremit oder Heldbock. Die Ergebnisse der Untersuchung des Brutvogelbestandes waren ähnlich reichhaltig. Neben den Arten, die sich in vielen Berliner Parks beobachten lassen wie Kleiber, Stieglitz, Eichelhäher, Meisen, Grasmücken oder Goldhähnchen, wurden auch Rote-Liste-Arten wie Pirol und Trauerschnäpper beobachtet, sowie streng geschützte Arten wie  Mittelspecht, Grünspecht und Waldkauz. Eine Liste, die sich sehen lassen kann und für die Stadtnatur ein wertvoller Schatz, den es zu erhalten gilt.

Lindenallee

Eine Öffnung des Geländes brächte auch Risiken mit sich. Totholzstrukturen in Bäumen sind leider immer auch potenzielle Gefahrenstellen und wer einen offiziellen Weg in einem Wald eröffnet, muss diesen auch so sichern, dass keine Gefahren für die Nutzer*innen des Wegs entstehen. Trotzdem dürfen auch die Bäume, in denen streng geschützte Arten wie Fledermäuse oder Eremit und Heldbock leben, nicht einfach um der Verkehrssicherung willen gefällt werden. Diese Arten wären nicht streng geschützt, wenn es für sie noch ausreichend Lebensräume gäbe. Eine Option wäre, das ganze Wäldchen unter Schutz zu stellen, so wie es auch in den Artenschutzgutachten empfohlen wurde. Eine andere Möglichkeit wäre, die Wege so zu legen, dass die Besucher*innen gar nicht in die Nähe der Habitatbäume kämen und diese Bäume daher auch gar nicht “gesichert” werden müssten. Am Westrand des Geländes wird es allerdings schwer möglich sein, ohne verkehrssicherungspflichtige Wege auszukommen. Denn dort führt eine Lindenallee zum ehemaligen Anstalts-Friedhof. Es ist davon auszugehen, dass auf diesem Opfer medizinischer Experimente und sogenannter “Krankenmorde” durch die Nationalsozialisten verscharrt worden sind.

Dort, wo unbedingt Wege geführt werden sollen und dadurch ein Konflikt mit Habitatbäumen entsteht, wird es schwer werden, Lösungen ohne Einsatz der Säge zu finden. Deshalb ist es wichtig, die jeweiligen Bäume ordentlich begutachten zu lassen und darauf aufbauend, die baumpflegerischen Eingriffe auf ein Minimum zu beschränken. Eine vorausschauende Baumpflege setzt es sich zum Ziel, Verkehrssicherung und Artenschutz zu vereinen. Ein entsprechendes Wissen über die Statik der jeweiligen Bäume ist die Grundlage für maßgeschneiderte Eingriffe.

Ein starrer Sicherheitsabstand rechts und links der Wege, in denen Habitatbäume präventiv gefällt werden, würde schweren Schaden an der Stadtnatur anrichten und die Bemühungen Berlins, geschützte Arten in der Stadt zu erhalten, ad absurdum führen. In diesem Fall wäre es wohl besser gewesen, nie über eine Öffnung des Geländes nachgedacht zu haben. Letztlich geht es ja nicht nur darum, die bestehenden Habitatbäume in ihrem aktuellen Zustand zu erhalten, sondern vor allem darum, dafür Sorge zu tragen, dass die geschützten Tiere auch in Zukunft die Totholzstrukturen und Höhlenbäume vorfinden, die sie zum Überleben benötigen.

Ein starrer Sicherheitskorridor entlang der Wege würde es faktisch unmöglich machen, dass neue Bäume alt werden und entsprechende Habitatstrukturen ausbilden können. So lässt sich die Aufgabe, das Artensterben aufhalten zu wollen, nicht lösen.

 

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